BROTZEIT mit Sibylle Ritter
2000, Ulm, Deutsches Brotmuseum




Deutsches Brotmuseum

Maßnahme zur Stillung des Hungers nach Kunst

aus: SCHWÄBISCHE ZEITUNG, Freitag, 15. September 2000/Nr.214/ULM 2

ULM - Sibylle Ritter ist mit einer Ausstellung zum Thema "Kunst als Brot" im Deutschen Brotmuseum vertreten.

Die 1963 in Lindau geborene Sibylle Ritter, Absolventin der Akademie der bildenden Künste Stuttgart, versteht Kunst als" Maßnahme zur Stillung von Sehnsüchten", als "Beleuchtung der Existenz vor dem Hintergrund des Mangels".
Seit 1995 befaßt sie sich in zahlreichen Arbeiten - Objekten, Assemblagen, Fotos, Siebdrucken - mit der Inszenierung von "Broträumen", dies gleichsam in Art einer künstlerischen Beweisführung, dass der Satz "Kunst ist Nahrung" stimme. Die Künstlerin: "Alle Nahrung ist Licht, transformierte Sinnenenergie." Stefan Borchardt, Kunsthistoriker aus Stuttgart, verwies in seiner Einführung darauf, dass das Thema Brot zwangsläufig zu weiträumigen Assoziationen führe, auch die Religion berühre. Legitim sei es, das Lebensmittel Brot dem Verzehr zu entziehen und zum Gegenstand einer künstlerischen Arbeit zu machen.
"Kunst nährt geistig"
Doch: "Kunst wird nicht verbraucht, während sie wirkt und geistig nährt." Im übrigen zeichne sich Sibylle Ritter durch Genauigkeit aus im Umgang mit den von ihr verwendeten Materialien und Verfahren. Festzustellen sein bei ihr eine Tendenz zur Auflösung des Brotes. So etwa, wenn sie den Laib eines Brotes mit einem Abdrucktransparent und goldschimmernd auf Glasscheiben überführt.
Im Zentrum vieler ihrer Arbeiten steht die Seitenansicht eines bestimmten Brotlaibes, mit dem die Werkreihe ihren Anfang nahm. In der Ausstellung wird dies dokumentiert durch ganze Serien, Siebdrucke und Schwarzweiß-Fotografien von 1995, in der sie mit Besuchern Brote gehalten hat in der Geste des Gebens, der "Speisung". Das Rituelle daran gerät gleichwohl ein wenig zu "Heilig" in seiner Wirkung.
Das immer wiederkehrende Motiv des Brotlaibes erscheint hier teilweise verdeckt durch eine Stickerei auf Baumwollgewebe, dort als Transparenter Körper auf einem Sockel oder auch als verborgene Lichtgestalt in einem Kasten mit leicht angehobenem Deckel. Die Arbeit "Karma", ein Tisch mit sechs Gedecken, variiert das Grundmotiv - je blasser der Abdruck des einzelnen Brotlaibes auf den einzelnen Plätzen wird, desto voller werden die zugeordneten Wassergläser.
"Die Münder der Seele . . . "
"Einkaufslisten" fungieren gleichsam als "Denktafeln für menschliche Bedürfnisse". Es sind in Kupferplatten eingeätzte Einkaufszettel, was neben der sinnfälligen Bedeutung ja auch für einen gewissen Humor spricht. Der sit ansonsten rar gesät in dieser kleinen Schau, die fast nichts unversucht lässt, altarhaft zu wirken und auch ein wenig belehrend bei aller Nachdenklichkeit.
Sibylle Ritter: Unsere Sinne sind wie Münder der Seele . . ."

von Ralf Heese



AUSSTELLUNG "Brotzeit mit Sibylle Ritter" im Deutschen Brotmuseum

Kunst als Nahrungsmittel

Von der Sehnsucht nach dem Unerreichbaren

aus: Südwestpresse, 11. September 2000

"Brotzeit mit Sibylle Ritter" heißt eine neue, gestern eröffnete Sonderausstellung des Deutschen Brotmuseums. Für die in Lindau geborene Künstlerin ist die Kunst sowichtig wie das tägliche Brot.
Geht von einem Kunstwerk eine Kraft aus, die uns stärken kann wie ein Butterbrot? Für Sibylle Ritter ist das keine Frage, Kunst ist für die 37-jährige Nahrung - Geistesnahrung, die für die Menschen dieselbe elementare Bedeutung hat wie das tägliche Brot. Mit ihren Arbeiten speist sie seit gestern das Deutsche Brotmuseum, in der Reihe "B(r)otschafen zeitgenössischer Künstler".
Ein ausgehöhlter Brotlaib mit dem Titel "Behälter" oder der transparente Plastikabguss eines "Brotkörpers" regen den Betrachter zu Nachdenken an über seinen täglichen Umgang mit Brot. Doch Sibylle Riter geht es um mehr. In ihren 20 Arbeiten, die in den letzten drei Jahren entstanden sind, reflektiert die Künstlerin auch ihr Verhältnis zur Kunst schlechthin. Die Kunst möchte die in Stuttgart lebende Sibylle Ritter nicht nur als kulturelle Bereicherung und visuellen Reiz verstanden wissen. Kunst stillt ihrer Meinung nach die Sehnsucht des Menschen nach dem Unerreichbaren- wie Brot den Hunger.
"Ich beschäftige mich mit dem Brotlaib, weil er etwas Ästhetisches hat", sagt sie. Und während ihrer "Brotzeit" - so nennt die Künstlerin den Zeitraum, indem die ausgestellten Arbeitenentstanden sind - verwandelte sie ein reales essbares Brot in einen geruchlosen und haltbaren Gegenstand zur reinen Betrachtung.

Zwiegespräche
Ausgehend von einer Schwarzweiß-Fotografie der Seitenansicht eines bestimmten Brotlaibes, der in allen Arbeiten eine zentrale Rolle spielt, treten die Werke in einen Dialog zueinander, sie kommentieren, zeigen Beziehungen auf.
Dieses Zwiegespräch schafft eine Atmosphäre, die die Aussage des einzelnen Kunstwerkes in den Hintergrund treten lässt. Der Betrachter soll die Ausstellung mit einer Leichtigkeit und Offenheit als Ganzes erfahren können. Die Sinnlichkeit ist deutlich zu spüren beim Betrachten der Arbeiten der Künstlerin.
Die neueste Arbeit der Künstlerin beschäftigt sich mit dem Stellenwert des Brotes in der Gesellschaft des 21. Jahrhunderts. Auf verschiedenen Kupfertafeln sind handgeschriebene Einkaufszettel verewigt. Deutlich wird, dass Brot nur noch eine untergeordnete Rolle spielt. In anderen Arbeiten reift sie Themen wie Magersucht und "Fast Food" auf.
Sibylle Ritter hat es sich zur Aufgabe gemacht, mit ihren Arbeiten ein Selbstbild zuschaffen, das unterschiedliche Sichtweisen auf das Berufsbild Künstler eröffnet. In der Fotoreihe stellt sie sich geradezu als (Nahrungs-)Gebende dar.

von ANKE SOHN