2002 Karlsruhe, Prinz-Max-Palais, "PFLANZSTÄTTE" im Rahmen der Ausstellung "VOM GULDEN ZUM EURO"

EINFÜHRUNG IN DIE PRÄSENTATION DER "PFLANZSTÄTTE" IM RAHMEN DER AUSSTELLUNG "VOM GULDEN ZUM EURO" - ERÖFFNUNG DER AUSSTELLUNG IM PRINZ-MAX-PALAIS


Nun wurde sie aus dem Verkehr gezogen und hat endlich Ruhe vor unseren Fingern, dem Handschweiß und dem pausenlosen Wechsel vorübergehender Aufenthaltsorte: Die Nomadin in unseren Geldbeuteln. 52 Jahre lang versuchte sie unter widrigsten Umständen, diesen einen Baum zu pflanzen. Es gelang ihr verständlicherweise nicht.
Mit diesem einfühlenden Blick auf das zur Zeit noch vertraute Motiv möchte ich in diesen Teil der Ausstellung einführen und einen Zugang mit Worten öffnen.
Im Rahmen der Ausstellung "Vom Gulden zum Euro" gehöre ich nicht zu den Historikern und Aufklärern, sondern vertrete in meiner Eigenschaft als Künstlerin die Sinnlichkeit und gründe meine Arbeit auf Wahrnehmungen und Beobachtungen jenseits herstellungstechnischer Momente oder numismatisch aufschlussreicher Aspekte. Dabei spielen, wie sie auch ohne Erklärungen sehen können, Fantasie, Einfühlung und das künstlerische Konzept die wichtigste Rolle.
Was führte mich zu der intensiven Begegnung mit dieser winzigen Arbeiterin?
Beim Lesen eines Buches über die Ursachen des Waldsterbens stieß ich auf ein WORT, das mich stutzig machte und seltsam berührte: KULTURFRAU. Es hieß hier, dass die sogenannten Kulturfrauen nach dem Krieg die Wälder wieder aufforsteten. Unsere Fünfzigpfennigmünze zeige das Bild einer solchen Kulturfrau, die hier sinnbildhaft die Hoffnung auf das Wachstum und das Erstarken Deutschlands darzustellen hatte.
Daraufhin fiel mein BLICK auf diese Münze und so traf ich diese Frau, die ich irgendwie anmutig fand, beeindruckend konzentriert- ganz und gar dem Baum zugewandt. Gleichzeitig waren dieser Frauentyp und die Art der Darstellung unzeitgemäß und überholt. Das Anpflanzen von Bäumen hingegen wird sich nie erübrigen und aus der Mode kommen.
In meiner Betrachtung versank ich ein Stück in diese Pflanzerin, die im Begriff war, Baumkulturen anzupflanzen, um Deutschland wieder mit frischem Grün und Sauerstoff anzureichern und so dem Leben mittelbar zu dienen. Ich besah ihre nackten Füße, ihre Kleidung, ihre Haltung, ihre Handlung und ihr Gesicht. Und ich besah den Baum, dessen Wurzeln den Grund nicht einmal berührten.
Da ich selber eine Art Kulturfrau bin – könnte man statt Künstlerin nicht auch Kulturfrau sagen? - bewegt mich immer wieder die Frage, an welchen Stellen und in welchen Augenblicken Kultur entsteht. Das Anpflanzen von Kulturen im ursprünglichen Sinn gehört jedenfalls zu diesen entscheidenden Momenten, und diese Frau fungiert für mich aus dieser Sicht als eine Schlüsselfigur zwischen Natur und Kultur: Sie bestimmt den Ort, an dem ein Baum wachsen soll.
Die Frau auf der Münze wirkt gehorsam. Scheinbar widerstandslos arbeitet sie unermüdlich in einem eng bemessenen Terrain ohne aufzuschauen. Sie tut, was ihr aufgetragen wurde und strahlt dabei Ruhe aus.
Als Münzbild hat sie jedoch noch weitere, durchaus brisante Eigenschaften, die sie von einem bloßen zweidimensionalen Bild unterscheiden: Sie wird normalerweise viel weniger betrachtet als berührt. Das finde ich sehr interessant und inspirierend. In einer Welt der Bilderflut vertreten Münzen eine Nische der vorwiegend taktilen Wahrnehmung, der Berührung. Geld wird im Zahlungsverkehr von unseren Blicken nur flüchtig gestreift und dann geHANDdelt.
Aus der Sicht eines Bildhauers oder Plastikers ist eine Münze in erster Linie ein reproduziertes Miniaturrelief. Kurzum handelt es sich bei dieser Darstellung auf dem Fünfzigpfennigstück um die kleinste, am häufigsten berührte Frauenfigur Deutschlands. Unter unserem Daumen wird bei ihr Nacht.
Unendlich oft geklont, doch durch ebenso unzählige, unterschiedliche Schicksale individuell verändert, zerkratzt, mit Kerben versehen, abgegriffen bis zur Gesichtslosigkeit, wurde sie zum Gegenstand meines Interesses und meiner eigenen kulturellen Handlungen.
Ich fand jedenfalls genug Gründe, um diese Frau zu vergrößern, zunächst um sie besser zu sehen.
Restlos erklären kann ich letztendlich nicht, warum die Angelegenheit dann eine solche Dynamik erhielt und aus dem absichtsfreien Spiel mit der auf Puppenformat vergrößerten Figur eine beträchtliche Werkgruppe heranwuchs.
Die Schritte lassen sich folgendermaßen skizzieren: Ich habe sie aus dem Bannkreis der Münze herausgeholt oder gelockt, auf Puppenformat vergrößert und eine Gussform erstellt, mit der ich sie wie die Münze selber theoretisch endlos vervielfältigen konnte. Den Baum habe ich ihr aus den Händen genommen und sie so, ohne eine ihr zugewiesene Arbeit, auf die Böden der Kultur gestellt, wo sie nichts mehr pflanzt oder wo sie beispielsweise Stille anbaut. ("Anbau von Stille" 2001)

Die Böden der Kultur sind ein vergleichsweise großes und unüberschaubares Terrain, auf dem fast alles möglich und erlaubt ist. Hier hält sie sich nach meiner Operation auf und erfährt Wandlugen unterschiedlichster Art, die unterschiedliche Interpretationen zulassen.
In meinen Arbeiten erfährt diese eingezwängte Figur eine Befreiung besonderer Art. Sie bekommt die Aufgabe, sich selber neu zu sehen und zu entwerfen, sich zu bespiegeln und ihrer eindimensionalen Prägung zu entkommen, und das auf vielfältige Art und Weise. In einer hier nicht gezeigten Arbeit, einem Trickfilm, schlägt sie Purzelbäume statt Bäume zu pflanzen. Sie verändert ihr Aussehen und erfährt tiefgreifende Verwandlungen. Der Erschöpfungszustand, in den ich sie, baumlos geworden trieb, führte sie in den Zustand der Selbstversenkung, zu einem Eintauchen in sich selbst. In dieser Art Embryonalhaltung verharrend, mutierte sie zum Sinnbild des reinen Potentials. Zwei Beispiele dieses Stadiums sind hier zu sehen: "Frucht mit zwei Kernen" und "Goldene Frucht". Kleidung und Kopfbedeckung bieten ikonografische Hinweise auf ihren Ursprung als Pflanzende auf der Münze. Verpuppt und zusammengerollt steht ihr nun eine weitere Verwandlung bevor.
In welcher Form würde sie sich wieder entfalten?
Wieder traf mein belebender Blick die Münze und ich ging der aufkeimenden Frage nach, warum sie den Baum nicht wirklich einpflanzte. Sie hält ihn beharrlich über dem Boden und seine Wurzel berühren ihn nicht, wie schon erwähnt.
Da unsere Pflanzerin Gründlichkeit und Gewissenhaftigkeit ausstrahlt, ließ ich mich auf die Vermutung ein, dass sie wohl der Qualität des Bodens misstraut und nicht bereit sein würde, ihren Eichenschössling, das einzige, was sie hält, einem unsicheren Grund anzuvertrauen.
Mit dieser möglichen Antwort auf die Frage nach ihrem Zögern beginnt die Formulierung eines Konzeptes, das ich einer weiteren Werkgruppe zugrunde gelegt habe, die unter der Überschrift "Die Untersuchung der Gründe" Abgüsse meines eigenen Körpers zeigt. Ich selber liege auf den Böden der Kultur, doch statt etwas darauf zu stellen, statt etwas einzupflanzen oder zu bewegen, tauchen meine Sinne ab unter die Oberfläche und sichten oder lichten das Dunkel ihrer Geschichte oder ihrer Substanz. Die Untersuchung der Gründe ist so gesehen die mögliche Fortsetzung einer unterlassenen Pflanzung – eine sehr kontemplative Haltung: Wie belastbar sind diese Böden, wie fruchtbar sind sie, woraus bestehen sie?
Die "Kleine Ergründende", ein Auflagenobjekt von 1995, zeigt die verkleinerte Version dieser abtauchenden Figur hier in dieser Ausstellung. Übrigens bleibt auch in diesem Stadium der Verwandlung die Figur vervielfältigbar, und somit bleibt herstellungstechnisch immer noch die Verbindung zur Münze als reproduzierbares Relief erhalten.
Es gibt jedoch noch andere Wege, die sich, ausgehend von der Betrachtung der Münze öffnen. Mit der Betrachtung dieses letzten Weges möchte ich meine Einführung auch beenden.
Da pflanzt sie, ewig und drei Tage vergeblich und zeigt nur diese eine, anständige, ruhige und widerstandslose Seite, die sie so sympathisch macht. Die andere Seite, in diesem Fall die linke Körperhälfte liegt vielleicht zitternd vor Wut im harten Metall und malt sich Abenteuer aus. Was wäre, wenn diese Seite auftauchen würde und auch endlich einmal dieser unpflanzbare Baum zum Einsatz käme?
Sie würde vielleicht zu neuen Ufern aufbrechen, auf einem Einbaum knieend, mit Eichenblattpaddel eine Insel ansteuern und dort eine Tanzschule gründen, um ihr unbändig gewordenes Verlangen nach Bewegung endlich zu stillen. Mit wehendem Haar, befreit von beengender Kleidung und ein wenig mehr in unsere Richtung blickend, sticht sie in die See.
Und dann, zu guter Letzt, hat sie den Ort der Kraft gefunden, wo sie kreisend um ihre eigene starke Achse ihren Ort auf den Böden der Kultur markiert, vollplastisch, zum Individuum geworden, der Blick kritisch und entschlossen. Mit ihr ist nicht zu spaßen. Der Stab könnte zum Speer werden. Unerschütterlich jedoch scheint ihre Liebe zur Eiche, deren Blatt zum unsinkbaren Floss wurde. ("Die Künstlerin" 2001)

Sibylle Ritter, 15. März 2002